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Die Austellung im Forum der BMW Technik GmbH in München

Eröffnungsrede zur Ausstellung "La Strada" am 25. Juni 2001


Einen guten Abend allerseits.

Als ich vor ein paar Jahren Christoph Kaesbohrer kennenlernte, lebte ich noch im Zustand der Unschuld.

Wenn ich mich damals mit meinem Motorrad, meinem Auto, meinem Radl von A nach B bewegte, fuhr ich auf Straßen, Autobahnen, Fahrradwegen, die mir alle miteinander wie ein einziges, ewig gleiches Asphaltband vorkamen, das sich in einer kaum erträglichen Ödheit und einheitsgrauen Tristesse unter den Reifen meiner Fahrzeuge ausbreitete. Höchstens wenn mich mal ein Schlagloch unsanft aus dem Motorradsattel hob, erweckte die Oberfläche unserer Straßen auf eine eher unangenehme Art meine Aufmerksamkeit.

Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Schon am Tag nach dem Besuch meiner ersten Teerzeichen-Ausstellung ertappte ich mich beim Verlassen meines Wohnhauses dabei, dass ich den Blick auf den von unzähligen Rissen durchzogenen, hundertmal geflickten Asphalt der aufgelassenen Tankstelle senkte, die sich damals noch hinter unserem Haus befand.
Sieht aus wie eine Krake, dachte ich beim Anblick einer Reihe von Teerfäden, über die ich bestimmt schon hundert Mal achtlos hinweggeschlurft war. Und war das da drüben nicht ein Krokodil? Oder eine Primaballerina, die etwas zuviel getrunken hat?
Ich kann Ihnen nur raten, machen Sie dieses Ratespiel nicht nach. Zumindest nicht, wenn Sie es so eilig haben wie ich damals. Laternenpfähle können, besonders wenn sie gegen zu Boden gesenkte Stirnen krachen, mitunter für ganz schön teuflische Kopfschmerzen sorgen.

Inzwischen bin ich über dieses erste Stadium der Teerzeichendeuterei hinaus und habe mir eine reifere Sicht der Dinge angeeignet.
Jetzt werfe ich nur noch ab und zu beim Gehen oder Fahren einen raschen Blick nach unten und stelle mit Kennermiene fest:
„Nettes Teerzeichen. Musst du mal bei Gelegenheit dem Christoph sagen.“ Und dann sonne ich mich in dem Gefühl, vielleicht gerade ein wenig zum Entstehen eines neuen Kunstwerks beigetragen zu haben – ganz en passant, im Darüberfahren sozusagen.

Und damit komme ich zu der Eigenschaft von Christoph Käsbohrers Teerbildern, der mich, je länger ich sie kenne, in zunehmendem Maße fasziniert.
Alle Bilder, die wir hier in dieser Ausstellung sehen, wurden von Christoph fotografiert – manchmal übrigens unter einem nicht unbeträchtlichen persönlichen Risiko für Leib und Leben, wenn er wieder mal mit seiner Hasselblad auf die Straße springt und in der genau kalkulierten Lücke zwischen zwei Lastwagen eines seiner Bilder schießt. Manchmal sind diese Aktionen fast zirkusreif, aber das ist eine andere Geschichte.
Für mich ist das Faszinierendste an den Teerzeichen, dass sie über ihren Fotografen hinaus eine Unzahl von Schöpfern haben, die alle mit dafür verantwortlich sind, dass diese Bilder so und nicht anders ausschauen.

Das fängt an mit der Natur, die auch der besten Straße irgendwann einmal Risse in Form von Frostaufbrüchen zufügt und geht weiter mit dem sparsamen Finanzpolitiker, der nur das Geld für eine punktuelle Ausbesserung schadhafter Stellen herausrückt und nicht für eine gründliche Fahrbahnsanierung mittels neuer Asphaltdecke – die im Übrigen eine Art SuperGAU für einen passionierten Teerzeichenfotografen bedeutet.

Aber zurück zum Gesamtkunstwerk Teerzeichen, dessen nächster Schöpfer der Straßenbauarbeiter ist, der die Risse und Sprünge in der Fahrbahn liebevoll mit einer kochend heißen, schwarzflüssigen Masse ausgießt, die wir zwar alle Teer nennen, die aber in der Sprache der Straßenausbesserungbau-Bürokratie „Bitumen“ genannt werden möchte.

Der Christoph hat sich dieser Begriffsausbesserung bisher standhaft verweigert, und ich weiß auch warum – Er müsste dann nämlich einige seiner fantasievollen Bildunterschriften abändern – und wie klingt das schon: „Alter Bitumenmann“ oder gar der „Bituminator“ .... Da ist doch der „Teer-Minator“ tausendmal schöner.

Aber jetzt wird´s richtig spannend, denn nun treten endlich wir auf den Plan: Sie, ich, wir Verkehrsteilnehmer in unserer vielfältigen Gesamtheit. Wir machen uns nämlich, kaum ist der Teer oder Bitumen oder wie man das Zeug auch immer nennen mag, richtig erkaltet, in Scharen über die frisch ausgebesserte Oberfläche der Straße her und walzen, kneten, walken sie durch vieltausendfältiges Überfahren in die unberechenbaren, bizarr verästelten und immer wieder aufs Neue überraschenden Formen die schließlich Christoph Kaesbohrer seine Kamera zücken lassen.

Oder anders ausgedrückt: Ein Teerzeichen wird durch Reifenspuren erst richtig schön.
Sollte diese Erkenntnis einmal auf breiter Front um sich greifen, dann könnte ich mir gut vorstellen, das so mancher kunstsinnige Autohersteller seine Werbeslogans abändert. Das hier in diesen Räumen sicherlich nicht unbekannte „Aus Freude am Fahren“ könnte dann vielleicht durch ein nicht minder verlockendes „Aus Freude an der Kunst“ ergänzt werden.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nun noch viel Spaß mit den Bildern von Christoph Kaesbohrer und vielleicht denken Sie das nächste Mal wenn Sie Autofahren daran, dass sie damit möglicherweise eine hundsgemeine bayrische ?Straß’? ein kleines Bisschen in eine ?La Strada? verwandeln.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Thomas A. Merk

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